Ein geerdeter Visionär

VON MATTHIAS SCHAIDER.
Er hat den Sinn für das Besondere und weiß, wovon er spricht, wenn er sagt: „Die Region hat wunderbare Blicke zu bieten.“ Und Professor Wolfgang Christ hat nicht nur viele besondere Orte gesehen, sondern auch entworfen und gestaltet, so zum Beispiel den Tetraeder in Bottrop. Eine begehbare Skulptur, die als weithin sichtbarer Aussichtsturm für viele die populärste Landmarke des Ruhrgebiets ist. Es ist Ort für Einheimische und Touristen, für jung und alt, eben für alle…

Prof. Wolfgang Christ mit einem Modell seines Tetraeders.

Prof. Wolfgang Christ mit einem Modell seines Tetraeders.

In einer immer heterogener werdenden Gesellschaft und zunehmender Individualisierung sieht Christ die Architektur in vielerlei Hinsicht als Bindemittel. Für ihn ist sie, gerade in Zeiten der Digitalisierung, wieder ein aktuelles analoges Medium, „Architektur und Kommunikation gehören zusammen“, sagt er.
Hinter seinen Ideen stecken tiefgründige Geschichten und Botschaften. Zu seinen wichtigsten Projekten zählen der Regionalpark Rhein-Main, der Umweltbahnhof Rheinland-Pfalz, die Seebrücke mit Pegelturm im Goitzschesee in Bitterfeld, oder die Cité der Industriekultur im saarländischen Göttelborn. Er blickt als Architekt und Urbanist stets auf den Kontext eines Projekts und auf Alltägliches. Sein „Denkraum“ ist das Quartier und sein Engagement gilt einer „Baukultur des Alltags“.
„Hier lebe ich gerne“, sagt Christ über die Bergstraße. Seit 1972 ist Darmstadt und die Bergstraße sein Lebensmittelpunkt, erst als Student, später als Architekt. Von 1983 bis 1988 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Hochschule Darmstadt tätig. Ein Jahr später gründete er sein Planungsbüro MEDIASTADT. Von 1994 bis 2013 lehrte er Entwerfen und Städtebau an der Bauhaus-Universität Weimar. In den 1980er und 1990er Jahren lebte Wolfgang Christ mit seiner Familie in Seeheim-Jugenheim, beide Töchter sind dort geboren. Nach zwei Jahren in Weimar ging es 1997 mit Frau und den Kindern wieder zurück an die Bergstraße, dieses Mal nach Alsbach: „Uns hat es wieder an die Bergstraße gezogen“, sagt Christ, vor allem der Freunde wegen, aber auch wegen des Klimas. An der Bergstraße faszinieren ihn die Landschaften an sich. Neben der hohen Lebensqualität schätzt er das „Wechselspiel von technischer Infrastruktur und alter Kulturlandschaft, vor allem aber die immer noch intakten Sphären von Urbanität und Naturraum zwischen Rheinebene, Bergstraße und Odenwald“.

Forschungszwecke führten ihn 2001 an die University of California, Los Angeles. 2008 gründete er die Urban INDEX Institut GmbH in Darmstadt für die indikatorenbasierte Analyse, Planung und Gestaltung von Stadtqualität. „Wir können die Qualitäten eines Raumes quantitativ erfassen und dies dann grafisch visualisieren“, lautet eines seiner Leitmotive. So entstand die Idee, einen Index zu entwicklen, der Stadtqualität objektiviert. Auf der Agenda des Instituts stehen städtebauliche Quartiersplanungen ebenso wie strategische Konzepte für die Zukunft der Orts-und Stadtzentren. Der Umbruch in der Einzelhandelslandschaft und die Tatsache, dass bereits fast 20 Prozent des Umsatzes im virtuellen Einkaufs-Netz landen, verlangt nach neuen Konzepten für die Mitte. Christ ist überzeugt, dass Städte ihre urbanen Potentiale und ihre lokale Identität in die Waagschale werfen müssen. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Planung setzt das Institut an und zeigt auf, wie Synergien von Stadt und Handel entstehen können. Eines moniert Christ in diesem Zusammenhang: „Es fehlt der gesellschaftliche Konsens, dass Städte heute Mobilität, Energie, Wohnen, Arbeiten, Handel, Kultur, Bildung, Freizeit, sowie Ökologie und Landschaft als eine Einheit planen und gestalten müssen. Dazu braucht man Masterpläne, für die jedoch allzu oft weder das Geld, noch der politische Wille, vorhanden ist.“

Der preisgekrönte Architekt ist unter anderem Mitglied im Kuratorium der Kulturstiftung für die Bergstraße. Seine Projekte haben allesamt visionären Charakter und bestechen durch eine faszinierende Leichtigkeit. Bei all dem zeigt sich, dass Wolfgang Christ mit beiden Beinen auf dem Boden steht, ein Charakterzug, der zur Bergstraße und zu den Bergsträßern passt: Ein geerdeter Visionär eben.

Kämpfer gegen den Klimawandel

VON MATTHIAS SCHAIDER.

„Mich bewegt die Erkenntnis, dass alle wesentlichen Entwicklungen auf dem Globus in die falsche Richtung laufen“, sagt Klaus Wiegandt, der sich seit über 15 Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Im Klimawandel sieht er die größte Bedrohung für die gesamte Menschheit. „Eine durchschnittliche Erderwärmung von mehr als 2°Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Vergleich zum Jahr 1800 führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass das Klima für Jahrhunderte aus dem Takt gerät und Zustände auf unserer Erde hervorrufen wird, die insbesondere die Versorgung der Menschen mit Nahrung und Trinkwasser ernsthaft gefährden.“

Klaus Wiegandt von der Stiftung: "Forum für Verantwortung".

Klaus Wiegandt von der Stiftung: „Forum für Verantwortung“.

Die größten Gefahren für die Menschheit gehen dabei von abrupten Verschiebungen der Vegetationszonen aus, wie z.B. dem Ausbleiben des Monsunregens und der wiederkehrenden Vernichtung großer Teile der Getreide- und Kartoffelaussaaten durch extreme Dürren, Starkregen und Überflutungen. Das könnte für Milliarden von Menschen den sicheren Hungertod bedeuten, dazu käme in vielen Teilen der Welt die sich verschärfende Trinkwasserknappheit.
Klaus Wiegandt sieht einen Hebel, an dem man wirksam ansetzen kann, um diese Entwicklung aufzuhalten: Die progressiven Kräfte in der Gesellschaft müssen national und international unter dem Dach des Klimaschutzes vernetzt werden, um dadurch eine Massenprotestbewegung breiter Bevölkerungsschichten in Gang zu setzten. Zudem könne jeder einzelne Verbraucher des sogenannten globalen Mittelstandes sofort einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem er reflektiert einkauft. Heißt: Verzicht auf Ramschprodukte, „Sharen statt Besitzen“ und nur noch maximal an drei Tagen der Woche Fleisch oder Fisch verzehren.
Wenn es um den Klimaschutz geht, benennt Wiegandt drei Meilensteine: Mit einem Stopp des Abholzens und Abbrennens der Regenwälder würden sich die CO2-Emissionen um jährlich drei Mrd. Tonnen reduzieren. Ein weltweites Waldaufforstungsprogramm auf 500 Mio. Hektar würde im Endstadium etwa fünf Milliarden Tonnen CO2-Emissionen binden. Die alten Kohlekraftwerke müssen technologisch auf State of the Art aufgerüstet bzw. durch neue ersetzt werden, das würde knapp drei Mrd. Tonnen Emissionen jährlich einsparen.
„Wir müssen den Menschen klar machen, dass wir es noch in unserer Hand haben, den Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten“, sagt Klaus Wiegandt. Geplant ist, dass die Bildungsinitiative „Mut zur Nachhaltigkeit“ mit den Trägern ASKO EUROPA-STIFTUNG, Europäische Akademie Otzenhausen und Wiegandts Stiftung Forum für Verantwortung, die Führungsverantwortlichen progressiver Organisationen von NABU, BUND, Repräsentanten der großen Religionen bis hin zu Stiftungen zu einem Treffen einladen, um die Chancen für eine gemeinsame Plattform auszuloten.
Dass Klaus Wiegand niemand ist, der die kleinen Räder dreht, belegt sein persönlicher Werdegang: Als Vorstandssprecher der Metro AG gehörte er in den 90er Jahren zu den einflussreichsten Managern, mit 60 Jahren verließ er die Kommandobrücke und gründete die Stiftung Forum für Verantwortung. Seitdem widmet er sich voll und ganz dem Thema Nachhaltigkeit. Wiegandt will wachrütteln, den Menschen klarmachen, dass „wir unseren Planeten plündern“.
Der gebürtige Stettiner kam 1971 in die Rhein-Main-Region. Seit 1975 lebt er mit seiner Frau an der Bergstraße, genauer in Malchen bei Seeheim-Jugenheim. „Hier bekommt mich niemand mehr weg: Der Frühling hält hier drei Wochen früher Einzug, und der Herbst beginnt drei Wochen später als in anderen Region Deutschlands“, sieht er einen klaren Standortvorteil für die Bergstraße. „Auch die Menschen haben hier eine außergewöhnliche Offenheit“, sagt Wiegand und beschreibt die Bergsträßer als bunt gemischt: „Deshalb fällt es auch Zugezogenen leicht, sich hier wohl fühlen. Und wer sich wohl fühlt, der bleibt.“
Malchen wird also sicher auch in Zukunft der Ort sein, von dem aus Klaus Wiegandt für seine Ziele kämpfen wird – das die ambitioniert sind, weiß er selbst, aber wer Klaus Wiegandt kennt, der weiß auch: Er wird sich unermüdlich dafür einsetzen!

Jazz ist ihr Leben

VON MATTHIAS SCHAIDER.

International erfolgreich, und in Weinheim ihr Zuhause gefunden! Anke Helfrichs Verbundenheit zur Bergstraße kommt nicht von ungefähr. Weinheim, Hemsbach, Heppenheim, Bensheim: Zu all diesen Bergsträßer Städten hat die Jazz-Pianistin einen besonderen Bezug, auch wenn sie einen Teil ihrer Kindheit und auch später lange Zeit weit weg verbrachte. Mit drei Jahren ging sie mit ihren Eltern nach Namibia, dort lebte die Familie fünf Jahre und dort kam sie auch erstmals mit dem Jazz in Verbindung. Dann ging es nach Weinheim, wo die Musikerin heute wieder lebt. Ihre Liebe zur Musik prägte die Kindheit und Jugend von Anke Helfrich und so war klar, dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen würde. In den Niederlanden studierte sie, in Kanada absolvierte sie einen vierwöchigen Workshop, ihr exzellenter Abschluss bescherte ihr ein Stipendium in New York. „Ich habe mich überall auf der Welt sofort wohlgefühlt“, sagt die kommunikative Weinheimerin.

Anke Helfrich in ihrem Domizil in Weinheim.

Anke Helfrich in ihrem Domizil in Weinheim.

Die vielseitige Musikerin versteht es, national wie international ihre Spuren zu hinterlassen, mit ihrem Klavierspiel feiert sie weltweit Erfolge und räumt renommierte Preise und Auszeichnungen ab. 1996 gewann sie mit ihrem Trio die „European Jazz Competition“ sowie 1998 den ersten Preis bei der „Hennesy Jazz Search“. Im Jahr 2000 wurde sie mit dem Weinheimer „Muddy’s Award“ ausgezeichnet. 2003 bekam sie den Jazzpreis der Stadt Worms. Jazz ist ihr Leben und daher hat sie schon mit einer ganzen Reihe der bekanntesten Größen des Jazz auf der Bühne gestanden.
Bei allem nationalem wie auch internationalem Erfolg, blieb Weinheim immer ihre Basis. Auch ihre Eltern und Geschwister leben wieder in der Region. „Ich schätze die Gegend, die Lage, das Klima, die Leute. Hier sind so viele Verbindungen zu so vielen Menschen entstanden“, sagt Anke Helfrich, „es sind ideale Bedingungen, um Musik zu machen.“
Das Frühjahr 2015 stand bei ihr ganz im Zeichen einer neuen CD-Aufnahme — dafür ging sie nach New York, um dort mit renomierten Jazzmusikern ihere Eigenkompositionen einzuspielen. Die Musikszene wartet jetzt gespannt auf ihr viertes Album.
Die zentrale Lage der Bergstraße spielt Anke Helfrich bei ihren vielen Reisen natürlich in die Karten: Deutschland, Europa und alle Kontinente sind über den Frankfurter Flughafen schnell zu erreichen. Ihre Touren führen sie in die USA, nach Malaysia, Südafrika und in viele andere Länder und Kontinente. Bei all ihren Reisen macht sie immer wieder die Erfahrung: egal wo sie hinkommt, viele kennen die Region Bergstraße!
Seit Mitte der 90er Jahre greift sie als Frontfrau ihres Trios erfolgreich in die Tasten, als Dozentin gibt sie ihre Erfahrung und ihr Wissen an Nachwuchsmusiker weiter. Sie gilt als „Ausnahmefrau am Klavier“, die den Jazz europaweit mit geprägt hat. Bei allem internationalem Erfolg dürfte klar sein, dass Anke Helfrich der Bergstraße auch in Zukunft die Treue halten wird.

Ein globaler Netzwerker

VON MATTHIAS SCHAIDER.
In Bensheim geboren und von hier aus ein internationales Netzwerk gespannt: „Als ich 1995 gestartet habe, hätte ich nicht gedacht, dass das Ganze mal so groß wird“, sagt Dr. Hans-Peter Meister, Gründer und Inhaber der IFOK GmbH sowie der zwei Tochtergesellschaften Meister Consultants Group (Boston, U.S.A.) und Meister Europe GmbH. Seine Unternehmen beraten erfolgreich und inzwischen weltweit in den Themen Energie und Klimawandel, Infrastruktur, Arbeitswelt, Ernährung, Gesundheit und allen anderen Aspekten der Nachhaltigkeit.

Dr. Hans-Peter Meister bei der IFOK in Bensheim.

Dr. Hans-Peter Meister bei der IFOK in Bensheim.

Unter dem Leitspruch „Wir gestalten Wandel – Nachhaltig!“ agieren er und seine Mitarbeiter im Dreiklang von Fachexpertise, Beteiligung und Kommunikation.
Der Fokus bei den internationalen Töchtern liegt hierbei auf dem Thema Energie: „Wir importieren die Energiewende“, sagt Hans-Peter Meister, denn: „Alleine wird die Energiewende Niemand schaffen, daher setzen wir auf Kommunikation und Kooperation und bringen verschiedene Akteure auf internationaler Ebene zusammen.“ Dahinter steht die Überzeugung, dass man nur gemeinsam gute Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit finden und umsetzen kann: Ob Klimawandel oder Energieversorgung, Digitalisierung, Ernährung oder Mobilitätskonzepte – Meisters Team arbeitet zukunftsweisende Strategien und wirkungsvolle Kommunikationskonzepte aus, gestaltet und begleitet Veränderungsprozesse in Gesellschaft, Politik und Unternehmen und stößt immer wieder beispielgebende Entwicklungen an.
Sechs Jahre war Meister mit seiner Frau in den USA und baute von Boston aus neue Dialog- und Kommunikationsformate in den Vereinigten Staaten auf. Seit Herbst 2014 ist er wieder in seiner südhessischen Heimatstadt. Bensheim, Berlin, Boston, Düsseldorf: Bei den Standorten seiner Unternehmen sticht Bensheim natürlich in vielerlei Hinsicht heraus. Warum in Bensheim aber bis heute die Wurzeln seines Wirkens liegen und der Hauptstandort weiterhin die kleinste der genannten Städte ist, das liegt für ihn auf der Hand: „Meine Frau und ich stammen von hier, von hier aus ist alles gewachsen und durch die Lage an der Bergstraße sind wir für Mitarbeiter aus Heidelberg, Mannheim, Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Mainz interessant“, sagt Meister, der ergänzt: „Die Lage ist perfekt – eine Stadt, mitten in der Natur.“ An den Bergsträßern schätzt er die pragmatische Bodenständigkeit, außerdem macht er ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus. „Das Sozialkapital ist hier sehr ausgeprägt, man kann sich auf den anderen verlassen, das erzeugt eine hohe Stabilität“, sagt Meister.
Bis zur Gründung von IFOK 1995 leitete der promovierte Biologe die Umfeldkommunikation der BASF in Ludwigshafen und war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Meister ist einer der international führenden Experten für Nachhaltigkeit, Dialog und Beteiligung sowie Mediation. Er lehrt und forscht als Fellow der Hertie School of Governance in Berlin. Die internationale Ausrichtung seiner Tätigkeit schätzt er sehr, aber wenn es um die Bergstraße geht, dann zögert er keinen Moment, um die Besonderheit hervorzuheben, die für ihn ganz persönlich eine hohe Bedeutung hat: „Heimat ist für mich hier.“

Der Mann für den richtigen Ton

VON MATTHIAS SCHAIDER.

In der Weinheimer Peterskirche wurde der Grundstein für eine außergewöhnliche Musikerkarriere gelegt: Als zehnjähriger Junge besuchte Biber Gullatz mit seiner Mutter dort ein Konzert. Besonders angetan war er vom Klang der Oboe. „Ich muss dieses Instrument lernen“, sagte er zu seiner Mutter. Heute zählt Biber Gullatz zu den bedeutendsten Musikproduzenten der deutschsprachigen Film- und Fernsehbranche. Prime-time-Produktionen bei den großen TV-Sendern oder bekannte Kinofilme: Für die Musikspur ist oft Biber Gullatz zuständig. Komponiert wird im häuslichen Idyll, im ausgebauten Dachboden seines Hauses in Weinheim. Dort verpasst er den Filmen den passenden musikalischen Rahmen und den akustischen Schliff.

Biber Gullatz in seinem Tonstudio, Weinheim

Biber Gullatz in seinem Tonstudio, Weinheim

Geboren in Korbach, zog die Familie nach Weinheim, als Biber Gullatz fünf Jahre alt war. Sein Vater war Oberarzt im Weinheimer Krankenhaus, seine Mutter ist die bekannte Autorin Ingrid Noll. „Mein Gefühl ist: Ich bin Weinheimer“, sagt er heute. Diese Verbundenheit zu Weinheim und der Bergstraße führte viele bedeutende Film- und Fernsehregisseure an die Bergstraße, wenn sie von Biber Gullatz ihre Filme vertonen lassen wollten.

Über die Musikschule Weinheim, wo er das Spiel der Oboe lernte, und nach Engagements in verschiedenen Bands, führte ihn sein Weg zum Musik-Studium. Während seines Studiums arbeitete er als Assistent bei seinem Professor, der auch am Heidelberger Theater Bühnenmusik komponierte. Der Theaterfunke sprang über und Biber Gullatz begann als freischaffender Bühnenkomponist im In und Ausland zu arbeiten. Das war für über zehn Jahre seine künstlerische Heimat, mit der er „rund um die Theaterwelt zog“. Nachdem er auf einen Fernsehregisseur traf, kamen immer mehr Auftragsproduktionen für Fernsehfilme und später für Kinofilme hinzu. Mittlerweile umfassen seine Arbeiten für Film und Fernsehen über hundert – zum Teil – preisgekrönte Produktionen. Als Gast-Dozent unterrichtet er außerdem an diversen Hochschulen unter anderen auch in Zürich und Basel.

Viele Instrumente beherrscht der Vollblutmusiker. Auch wenn sich zwar heute mit dem Computer vieles simulieren lässt, macht es einen guten Musikproduzenten aus, das musikalische Handwerk von Grund auf zu beherrschen und zu wissen, wie ein Instrument klingt und zu spielen ist.

Seine starke Verbundenheit zur Bergstraße und insbesondere zu Weinheim führt der weit gereiste Künstler auf die übersichtlichen Strukturen zurück: „Die Welt ist so unübersichtlich, daher ist es ein unheimlich wichtiger Anker für mich , eine überschaubare Umgebung um sich zu haben“, sagt der Familienvater. „Überschaubarkeit hat in dieser komplizierten Welt etwas sehr beruhigendes“, ergänzt er. Wohl fühlt er sich auch in Berlin, Hamburg oder Köln, auch das Ausland hat es ihm angetan, und insbesondere Neuseeland ist regelmäßig das Ziel von ihm und seiner Familie. „Die Basis aber ist Weinheim“, sagt Biber Gullatz, der es sehr schätzt, an der Bergstraße leben zu dürfen!

Das klingt nicht nur gut, das passt auch zu dem Mann, der stets den richtigen Ton findet.

Die Vergangenheit der Zukunft

VON LAURA FREY. 

Eintauchen in eine andere Zeit. Nachdenken über die Zukunft und die Vergangenheit in der Gegenwart. Ein kleines Fachwerkhaus, unscheinbar, mit einem Türschild – Heimatmuseum Zwingenberg. Die Tür öffnet sich, ein kühler, modriger Geruch strömt heraus. Ein kleiner Mann mit großer, dunkler Hornbrille steht neben dem Eingang. Den Zylinder kurz anhebend begrüßt er die Gäste. Die Zeitreise beginnt: Eine Küferwerkstatt, in der Fässer hergestellt wurden. Ein altes Schulzimmer mit Schiefertafeln. Eine Postkartensammlung, die Bilder einer vergangenen Zeit zeigen.

Werner-Korschan

Werner Korschan, Zwingenberg

Werner Korschan war 30 Jahre lang Leiter des Museums in der Scheuergasse. Der gebürtige Darmstädter kennt zu jedem einzelnen Ausstellungsstück eine Geschichte. Auch die Zinnsoldaten neben der alten Militäruniformen hat er eigenhändig aufgestellt. Mit Büchern und Drucken aus seiner eigenen Sammlung hat er mehr als 65 Mal eine große Vitrine im Erdgeschoss bestückt. Die hat er natürlich auch selbst in das Museum gebracht. Bevor Korschan sich ganz dem Museum widmete, arbeitete er als Maschinenbuchhalter beim Darmstädter Echo und später bei der Hessischen Landesbank.

Das erste Fundstück in seiner Sammlung? Ausgewählte Fabeln von Jean de La Fontaine. Danach durchstöberte Korschan alle Antiquariate im Umland. Bot auf Auktionen, ärgerte sich wenn der Preis zu hoch gestiegen war. Sammelte alles was ihm in die Hände fiel und zusagte: Bücher, Holzschnitte und Kupferstiche, Chorblätter, Briefe, Tagebücher und Landkarten. Mittlerweile ist sein kleines Haus bis unters Dach gefüllt mit wertvollen Schätzen, die er über die Jahre zusammengetragen hat. Werke aus der Vergangenheit suchen, finden, sammeln. Sie für junge Menschen heute zugänglich machen. Das machte seine Arbeit im Museum aus.

Mittlerweile ist Werner Korschan 92-Jahre alt. Falten umsäumen seine Augen. Die Hände liegen ruhig neben ihm. Wenn er den Datterich zitiert, liegt ein schelmisches Lächeln auf seinen Lippen. Eigentlich wollte er das Stück einmal mit seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln zusammen aufführen. Da sie auf der ganzen Welt verteilt leben, sprach er kurzerhand alle Stimmen selbst ein.  Nur was mit seinem Lebenswerk passiert sorgt ihn. Ein Lieblingsstück in seiner Sammlung existiert nicht. Das Gesamtbild ist wichtig. Sammeln aus der Vergangenheit für die Zukunft, unsicher sein über das Jetzt.

Im Juni 2015 ist Werner Korschan im gesegneten Alter von 93 Jahren und einem erfüllten Leben gestorben.

Der Mann der Stahl schwerelos wirken lässt

VON MATTHIAS SCHAIDER.

Wenn Stahl schwerelos erscheint, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Jürgen Heinz seine Hände im Spiel hat. Der Metallbildhauer aus Lorsch versteht es wie kaum ein anderer, Stahl eine dynamische Leichtigkeit zu verleihen und im wahrsten Sinn des Wortes zum Schwingen zu bringen.

Jürgen Heinz

Jürgen Heinz, Metallbildhauer, Lorsch

Große Reden zu Schwingen liegt dagegen nicht im ruhigen Naturell des Lorschers, der dennoch viel zu sagen hat, vor allem dann, wenn er über seine Arbeit spricht. Sehr genau wählt er seine Worte und der Zuhörer merkt, wie sehr der Beruf seine Passion ist. Viel lieber lässt Jürgen Heinz aber seine Kunstwerke sprechen, die ausdrucksstark und filigran daherkommen. Der Perfektionismus steckt in jedem seiner Werke, seine Persönlichkeit findet sich klar erkennbar darin wieder.

Dabei baut er seit Jahren Brücken zwischen Kunst und Handwerk: Denn der Künstler ist eigentlich Schmied oder ist er doch eher Metallbildhauer und eigentlich Künstler? Mit diesem vermeintlichen Widerspruch ist jetzt Schluss: „Ich widme mich ab sofort nur noch der Kunst. Gerade deshalb ist ihm die Bezeichnung als Metallbildhauer sehr wichtig und genau diese Bezeichnung wird auch dem gerecht, was er tut.

Durch das Handwerk ist Jürgen Heinz zur Kunst gekommen. Er erlernte die Schmiedekunst und hat dabei Feuer gefangen. Seine weiteren Stationen waren in Stuttgart und der Schweiz, er absolvierte ein Studium an der Werkakademie für Gestaltung. Die Theorie wendete er immer perfekter in der Praxis an, sein Handwerk profitierte von seinem künstlerischen Talent und beiden Richtungen befruchten sich bis heute gegenseitig: Beim Handwerk geht es um Funktionalität und so bildet das Handwerk die technische Basis für seine gesamte künstlerische Arbeit.

„Das Leben ist viel zu kurz für die vielen Ideen, die ich habe“, sagt Jürgen Heinz. Seine Werkstatt liegt mitten in einem Lorscher Wohngebiet. Wer die Halle betritt, fühlt sich versetzt in eines dieser typischen Lofts, die man auch aus Hollywood-Filmen kennt. Hier liegt die kreative Keimzelle von Jürgen Heinz. Bei ihm dauert es von der Idee bis zur Umsetzung nicht lange: „Ich habe eine Idee, dann fertige ich eine Zeichnung an und beginne sofort mit der Umsetzung.“ Das kann bei großen Exponaten dann schon mal 100 Stunden dauern.

Seine bewegten Stahlplastiken sind faszinierend, sein Ideenreichtum beindruckend. Seit 15 Jahren arbeitet er als selbstständiger Metallbildhauer. Jürgen Heinz – der Mann, der Stahl Flügel verleiht.

Der Pionier nachhaltigen Wirtschaftens

VON MATTHIAS SCHAIDER.

Dr. Holger Zinke gehört an der Bergstraße sicherlich zu den Menschen, die das Potential dieser Region nicht nur erkannt haben, sondern es auch aktiv fördern. „An der Bergstraße ist vieles möglich, was woanders nicht umsetzbar ist“, sagt Holger Zinke. Die Erklärung, warum das so ist, liefert der preisgekrönte Mikro- und Molekularbiologe gleich mit: „Die Gegend ist reich an geerdeten Menschen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der BRAIN AG in Zwingenberg.

Holger Zinke

Dr. Holger Zinke, Vorstandsvorsitzender der Brain AG, Zwingenberg

Er selbst hat diese Erdung nie verloren: Geprägt von einem bodenständigen Elternhaus, war die Grundlage dafür gelegt, dass er nie abhebt. Angetrieben von der Neugier und der Lust, Dinge zu entdecken, setzte Zinke mit seinen Weggefährten Maßstäbe im Bereich der Molekularbiologe und Molekulargenetik. Der „Pionier nachhaltigen Wirtschaftens“ gilt als Entdecker des „Werkzeugkastens der Natur“. Holger Zinke ist es gelungen, Biologie und Schlüsselindustrien zusammenzubringen. High Tech und Biologie müssen sich nicht ausschließen – im Gegenteil: Heute machen über 100 Mitarbeiter die Brain AG zum Vorreiter der „Weißen Biotechnologie“.

Holger Zinke ist der Kopf der Brain AG, unter anderem erhielt er 2008 mit dem „Deutschen Umweltpreis“ den höchstdotierten Umweltpreis Europas und ein Jahr später das Verdienstkreuz am Bande. Seine Neugier- und Entdeckermentalität hat dafür gesorgt, dass die Arbeit der Brain AG weltweit Anerkennung und Beachtung findet. „Made in Zwingenberg“ heißt es dank zahlreicher Industriekooperationen und Partnerschaften bei international agierenden Unternehmern.

Wie Holger Zinke selbst sagt, pflasterten Zufälle seinen Weg, aber schon früh bestimmte eine zentrale Entscheidung die richtige Richtung: „Das war, als ich wusste, nicht Bauingenieur werden zu wollen, sondern Biologe zu studieren“, sagt Zinke. Das war während seines Wehrdienstes, als er 19 Jahre alt war. Schon früh stellte er seine Urteilskraft unter Beweis und genau diese Urteilskraft hält er für eine Schlüsselqualifikation, die Menschen den Weg weist. Der Mikro- und Molekularbiologe hat erfolgreich Zukunftspfade eingeschlagen und Meilensteine gesetzt. Niemals vergessen wird er die Begegnung mit dem damaligen Bundespräsidenten Professor Dr. Horst Köhler. Aber genauso schwärmt er von Begegnungen mit Mitarbeitern und Studenten, die mit ihren Ideen und ihrem Tatendrang die Erfolgsgeschichte der Brain AG mitschreiben.

Holger Zinke ist jemand, der mit Bedacht seine Worte wählt. Dieses behutsame Verhalten und der Blick über jeden Tellerrand hinaus machen seine Arbeit so wertvoll und anerkennenswert, denn nachhaltiges und trotzdem wirtschaftliches Handeln sucht man oft vergebens.

Deshalb ist sein Weg und der Weg der Brain AG noch lange nicht zu Ende: Von Zwingenberg aus wird auch in Zukunft die Zukunft einer ganzen Branche entscheidend geprägt.

Der Mann für die Bergstraße in Berlin

VON MATTHIAS SCHAIDER. 

Ein Bergsträßer für die Bergstraße in Berlin: Dr. Michael Meister ist hier zuhause und für die Region im Deutschen Bundestag. Die Vorzüge seiner Heimatregion kennt der Bundestagsabgeordnete genau: „Die Bergstraße bietet auf kleinem Raum eine große Vielfalt“, blickt der zweifache Familienvater auf sein Zuhause. Die großen Vorteile sieht er darin, dass zwar kein großstädtisches Klima herrsche, die direkte Anbindung über den Frankfurter Flughafen aber das Tor zur Welt öffnet: „Wir sind hier alles andere als ein abgelegener Winkel“, sagt Meister auch mit Blick auf Wirtschaftsunternehmen, die ihren Sitz im Süden Hessens haben und die Standortvorteile zu schätzen wissen. „Wir liegen mittendrin“, umschreibt er die Rolle der Bergstraße als Bindeglied zwischen Rhein-Neckar und Rhein-Main.

Dr. Michael Meister

Dr. Michael Meister, Bundestagsabgeordneter, Bensheim

Der kulturelle Reichtum der Region ist für ihn ebenfalls ein Charakteristikum. In seinen Augen sind es vor allem aber die Menschen, die die Bergstraße zur einer attraktiven Region machen: Zu den Familien, die seit hunderten von Jahren hier verwurzelt sind, kommen auch immer wieder Neue hinzu: „Der lebendige Austausch prägt unsere Region“, sagt Meister, der weiß, dass auch die „Zugezogenen“ schnell eine Beziehung zu ihrer neuen Heimat aufbauen.

Die lebendige Kultur auf lokaler Ebene bedeuten für ihn ein weiteres Stück Lebensqualität. Vor allem schätzt er die lokalen Besonderheiten, wie die reizvolle Landschaft der Weinberge.

Die Bergstraße ist von Anfang an sein Zuhause: Geboren in Lorsch, wohnt der Politiker mittlerweile schon viele Jahre in Bensheim. 110 Sitzungstage hat das Jahr im Bundestag, rechnet man andere Termine in der Bundeshauptstadt hinzu, ist Michael Meister etwa die Hälfte des Jahres an der Bergstraße.

Seine politische Karriere zeigte stets Richtung oben: In Bensheim-Zell setzte er sich als Student für die Entwicklung seines Heimatdorfes ein. Ab 1983 ist er Mitglied im Ortsbeirat Zell. Weiter ging es als Stadtverordneter in Bensheim und später als Vorsitzender der CDU Bensheim. 1994 begann seine Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestags. Seit Ende 2013 ist Michael Meister Parlamentarischer Staatssekretär bei Finanzminister Wolfgang Schäuble im Kabinett von Angela Merkel.

Ein Vergleich zwischen der Bergstraße und Berlin fällt nicht leicht, doch die persönliche Nähe auf der einen und die Anonymität auf der anderen Seite sind für ihn die entscheidenden Unterschiede. Beeindruckt ist er von dem engagierten Engagement der Bergsträßer: „Das Ehrenamt spielt hier eine große Rolle.“ Große Historie, wie das Kloster Lorsch, attraktive Orte, wie das Fürstenlager, und kulturelle Höhepunkte, wie die Eysoldt-Ring-Verleihung in Bensheim, sind für ihn beispielhaft für viele weitere Besonderheiten der Bergstraße.

Mit Dr. Michael Meister vertritt ein Bergsträßer seine Heimatregion in der Bundespolitik.

In der Ruhe liegt die Kraft

VON MATTHIAS SCHAIDER.

Dieser Mann ruht in sich selbst und doch sprüht er vor Energie: Erich Stahl. Seine 82 Jahre merkt man dem Künstler nicht an, seine Unbekümmertheit und seine gute Laune wirken ansteckend. Der Leitspruch „In der Ruhe liegt die Kraft“ könnte für ihn erfunden worden sein. 14 Jahre lebte er in Heppenheim, seit 30 Jahren ist er in Zwingenberg zuhause.

Erich-Stahl

Erich-Stahl, Kupferstecher und Maler, Zwingenberg.

Seine Ausstrahlung und seine innere Impulsivität beeindrucken, man merkt: Dieser Mann hat längst seine innere Ruhe gefunden. Und so fällt im Gespräch immer wieder der Satz: Ich muss Niemandem mehr etwas beweisen. Und wer ihm genau zuhört, der stellt fest, dass Erich Stahl noch nie in seinem Leben Irgendjemandem etwas beweisen musste. Er zieht sein Ding durch. Vor allem, wenn es um die Berufsgruppe der Galeristen geht, zeigt sich, dass dieser Mann immer seine Kunst und seine Freiheit über allem anderen sieht: Profit will er daraus nicht schlagen, Botschaften vermitteln aber sehr wohl und etwas Bleibendes schaffen. Das ist ihm gelungen, zweifellos.

Manchmal schläft er in seinem Atelier. Oft fährt er nach zwei Stunden aus dem Schlaf. Dann hat er eine Idee, die er sofort auf einem Blatt Papier skizziert oder in ein Kunstwerk einarbeitet. An seinem größten Kupferstich, sage und schreibe hat dieser die Maße 50 auf 80 Zentimeter, hat er insgesamt sieben Jahre gearbeitet.

Geboren 1931 im saarländischen Mettlach, führt ihn sein Großvater schon in jungen Jahren in die Kunst ein. 1946 beginnt er eine Kupferstecherlehre. An der Schule für Kunst & Handwerk in Saarbrücken erweitert er seinen Horizont. Als Grafiker verdient Stahl den Lebensunterhalt für seine Familie. Seine Passion lebt er im Atelier aus, er ist ein Meister seines Fachs. Den Kunsthistoriker K. F. Ertel. nennt er seinen geistigen Vater, Förderer und schärfsten Kritiker. Sein großes Vorbild ist Albrecht Dürer. Stahl ist Maler, Kupferstecher, Grafiker und Objekt-Gestalter in einer Person. Er schafft Acrylbilder, Linolschnitte oder Kupferstiche. Auch Feder-, Buntstift- oder Kordelzeichnung beherrscht er perfekt. Stahls Arbeiten wurden in Paris, London und in verschiedenen Städten der USA gezeigt.

Erich Stahl schafft wahre Meisterwerke – handwerklich perfekt, kreativ und immer mit Hintergedanken. Kaum Jemand beherrscht die Kunst des Kupferstechens so wie er. Wer genauer nachfragt erfährt von ihm: „Technik muss man beherrschen, um sich in der Kunst, wenn man denn diese begriffen hat, äußern zu können.“ Erich Stahl sagt das aus einer inneren Überzeugung heraus und wir erinnern uns: Beweisen muss dieser Mann Niemandem etwas!

Fantasie und schwarzer Humor ohne Altersgrenze

VON ALEXANDER WISCHNEWSKI.

Für eine der erfolgreichsten deutschen Krimiautorinnen sind 21 Jahre Schaffensperiode eigentlich eine recht knappe Zeitspanne. Mit erst 55 Jahren veröffentlichte die in Shanghai geborene und im chinesischen Nanking aufgewachsene Tochter eines Arztes ihren ersten Roman „Der Hahn ist tot“. Bereits als Kind hatte sie kleine Geschichten geschrieben, die sie später aus Angst, dass man ihr Geheimnis entdecken könnte, im elterlichen Garten verbuddelte. 1949, als Ingrid Noll vierzehn war, verließ ihre Familie China. Die politischen Verhältnisse im Reich der Mitte waren zu bedrohlich geworden. In Bad Godesberg besuchte sie, die vorher wie ihre drei Geschwister von den Eltern unterrichtet worden war, ein Mädchengymnasium und bestand 1954 das Abitur. Erst als ihre eigenen drei Kinder aus dem Hause waren, so steht es in ihrer Biografie des Diogenes Verlages in Zürich, hatte sie Zeit, sich wieder mit Lesen und Schreiben zu beschäftigen. Hatte doch jahrelang die Erziehung ihrer drei eigenen Kinder, das Führen eines großen Haushaltes und die Mitarbeit in der Praxis ihres Mannes, dem Arzt Peter Gullatz, ihr Zeitbudget so gut wie völlig ausgereizt.

Ingrid-Noll

Ingrid Noll, Krimiautorin, Weinheim

Die dreifache Mutter und vierfache Großmutter ist Familienmensch. Wenn ihre Enkel zu Besuch sind, zieht sie sich nicht in den Elfenbeinturm ihres Arbeitszimmers im ersten Stock zurück. Sie ist für sie da, ganz Oma, albert und spielt mit ihnen. Trifft man sie in ihrem gemütlichen Weinheimer Haus, das niemals eng wirkt, überkommt einen unwillkürlich das Gefühl, dass dieses Heim zu einem Ort geworden ist, dem man ohne lange zu überlegen die Eigenschaft zubilligt, längst die Atmosphäre des vielzitierten „genius loci“ auszustrahlen. Diese Umgebung, aber auch die Begegnungen und Beobachtungen des Alltags in Weinheim, in der Sparkasse, den Straßen und in den Läden haben Ingrid Noll zu zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten inspiriert. Lebendig und fantasievoll gestaltet sie ihre Figuren und gibt ihnen ein teilweise skurriles, immer für Überraschungen gutes Eigenleben mit auf den literarischen Lebens- oder auch Todesweg. Und das Ableben ihrer Figuren kommt dann auch plötzlich, aber nicht unerwartet oder umgekehrt. Die Bücher von Ingrid Noll, es sind demnächst dreizehn Romane (der jüngste „Der Mittagstisch“ erscheint im August 2015) und Kurzgeschichten in zahlreichen Anthologien wurden mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt. Ein Bilderbuch hat sie selbst in Verse gesetzt und illustriert. Und ist ein Ende der fantasievollen Schaffenskraft in Sicht? Das darf man sie eigentlich gar nicht fragen, denn sie entwickelt immer wieder neue Themen, Figuren, Lebensumstände zwischen Leben und Tod. Zufälle scheint es nicht zu geben.
Die Autorin sagte selbst einmal, ein Mord an einem langjährigen Ehepartner könne durchaus als Akt der Emanzipation verstanden werden. Ihre Figuren und deren Lebensumstände sind Abbilder eines ganz normalen Alltags mit Durchschnittsmenschen mit dunklen Abgründen. Selbst wenn viele ihrer Leser – selbst Literaturkritiker – ihr das Prädikat „Deutsche Patricia Highsmith“ verleihen, so trifft bei allem Respekt vor der amerikanischen Kollegin eher das Prädikat zu: Ingrid Noll ist die deutsche Ingrid Noll.
Doch bei allem schwarzen Humor und pointierter Fantasie, Ingrid Noll nimmt auch ernsthaft Stellung zu immer dringender werdenden Problemen unserer Tage: Pflegenotstand, wie gehen wir mit unseren Verwandten um, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, sich um sich selbst zu kümmern, sich selbst zu versorgen, wenn sie zu Pflegefällen geworden sind? Wie werden es unsere Nächsten mit uns halten? Ingrid Noll hat ihre eigene Mutter bis zu deren 106. Lebensjahr gepflegt. Das bedeutete Einschränkungen räumlicher Natur, auch die Freizeitgestaltung, wie Urlaub oder Reisen, mussten sechzehn Jahre lang geplant und organisiert werden. Ein Stück Familientradition übrigens, denn schon ihre Mutter hatte sich pflegend um Ingrid Nolls Großmutter gekümmert, bis zum Alter von 105 Jahren. Für sich selbst und andere könnte sie Sterbehilfe akzeptieren, allerdings nur nach sorgfältigster Prüfung und willentlicher Erklärung eines Todkranken. Der Wunsch nach einem schmerzfreiem Tod und seine Erfüllung kann nur die letzte Bilanz eines Lebens sein, das keine Hoffnung auf einen besseren Zustand mehr zulässt. Das sagte Ingrid Noll in einem Interview, das sie anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Romans „Hab und Gier“ gab. Dieser Roman beginnt mit einer missglückten, weil verfrühten Sterbehilfe. Übrigens will sie von ihren eigenen Kindern nicht aus dem Leben gepflegt werden, weil sie ihnen die damit verbundenen Anstrengungen und Einschränkungen ersparen möchte. Ein paar Minuten nach diesen Worten ist sie wieder ganz die alte Ingrid Noll, von der wir gerne noch weitere Bücher erwarten.

Unser nicht alltägliches Brot

VON ALEXANDER WISCHNEWSKI.

An drei Tagen in der Woche, Donnerstag, Freitag und Samstag ist die Nacht für Toni Como sehr früh vorbei. Er beginnt die Arbeit in seiner Backstube in Bensheim. Füllt einen riesigen, holzbeheizten Rundofen mit Teigfladen für Brote, Baguettes, Croissants und immer wieder anderem Backwerk. Kein Milligramm Konservierungsstoff ist in seinen Teigen zu finden. Er mahlt sein Roggen- und Dinkelmehl selbst, ist quasi mit jedem Korn per Du.

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Toni Como, Inhaber der „Dorfmühle“, Bensheim-Auerbach

Den Ofen hat er in den Vogesen entdeckt. Elektro oder Gas kamen für ihn nie in Frage. Hat der Steinofen seine Arbeitstemperatur von gut 340 Grad Celsius erreicht, kommen die Teiglinge auf die riesige, runde Steinplatte, die sich ständig dreht. Zuerst die, die die meiste Backzeit brauchen. Dann stufenweise all die, die schneller braun und knusprig sind. Wie vor hundert Jahren. Damals konnte man es sich ebenso wenig wie heute leisten, mit den Energieträgern leichtfertig umzugehen. Für Toni pures Handwerk, reine Gefühlssache, erlernbar, formatiert durch Erfahrung, Timing. Keine Sensoren, null Automatik, zéro Elektronik. Geht doch.

Tonis Backwaren; à la bonheur. A la franςaise! Das Nachbarland hat so manche Phase seines Lebens und somit ihn selbst geprägt: Frankonorm, frankophil, trotz des italienischen Nachnamens. Als ganz Junger, ganz wilder Student der Philosophie waren Jean Jacques Rousseau und Jean Paul Sartre seine Vorbilder. Rousseau. Dessen Aufforderung hat für ihn nie ihre Bedeutung verloren: Zurück zur Natur! Das lebt er vor. Ist schon seit vielen Jahren Gastronom und für Bündnis 90/Die Grünen im Gemeindeparlament.

Ein uriges, gemütliches Wohnzimmer für Gäste ist seine „Dorfmühle“ in der Auerbacher Bachgasse. Mit einer durchaus französisch anmutenden Speisekarte. Das ist für ihn Wertetransfer, Handwerk, Ursprünglichkeit. Er fährt oft, nie über die Autobahn, sondern über die Landstraße nach Frankreich. Zusammen mit seiner Frau sammelt er in Kneipen und bei Bauern Ideen und Rezepte für Speisekarte oder Backstube. So wie es sich gerade ergibt. Und dann gibt es in der Backstube mal eine Weile Petadons. Tartelettes, mit Käse und Oliven gefüllt.

In Mulhouse hat Toni einen regionalen Bauernmarkt entdeckt und schwärmt anhaltend mit geatmeten Gesten. Die Fahrt geht auch oft weiter in Richtung Süden. In Dijon studiert seine älteste Tochter Theaterwissenschaften und ist nun in diversen Projekten aktiv. Er ist stolz auf Lisa, denn er konnte ihr viel von dem mitgeben, was ihn selbst geformt hat. Toni Como liebt das Ursprüngliche, das Unverfälschte, kompromisslos und streitbar. Direkt und schnörkellos seine Ansage. Da kam mal einer zu ihm, der wollte 18 frisch gebackene kleine Gugelhupfe kaufen. Zum Einfrieren. Toni lehnte ab. Nicht mehr als drei. „Ich backe doch nicht frisch und ohne alle Konservierungsstoffe, damit Du dann die Kuchen einfrierst. Das ist doppelte Energieverschwendung.“ Der hat das kapiert. „Und ist inzwischen ein treuer Kunde unserer Backstube, gehört zu den 90 Prozent Stammkunden. Und mehr als drei Gugelhupfe bekommt er immer noch nicht.“

Sein Markenzeichen ist seine Authentizität

VON MATTHIAS SCHAIDER.

An der Bergstraße daheim und auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu Hause: Der Schauspieler Walter Renneisen hat seine Rolle(n) gefunden. Sein Markenzeichen ist seine Authentizität: Meinungsstark, verbindlich und Jemand, der weit über den Tellerrand hinaus blickt!

Walter-Renneisen

Walter Renneisen, Schauspieler, Bensheim

Seit fast fünf Jahrzehnten steht er auf den verschiedensten Bühnen und in zahlreichen Fernsehserien vor der Kamera. Walter Renneisen besuchte zunächst drei Jahre die westfälische Schauspielschule und ist seit 1967 als Schauspieler tätig. In seiner Zeit am Staatstheater Darmstadt fällt auch die Entscheidung, nach Bensheim an die Bergstraße zu ziehen. Für diese „liebliche Stadt“, wie er Bensheim nennt, sprach vor allem auch die Lage: „Als ich mich selbständig machte, wollte ich in der Mitte Deutschlands leben“, so der ganz praktische Grund. Ein Weiterer: Innerhalb von 45 Minuten sind sechs Stadt- bzw. Staatstheater zu erreichen. Neben diesen pragmatischen Erwägungen sprachen noch mehr Gründe für die Bergstraße: „Hier gibt es wunderschöne Orte“, sagt Renneisen. Die Hessen erlebt er als „umgängliche und lebensfrohe Menschen“, auch architektonisch habe die Region sehr viel zu bieten.

Seine Entscheidung für eine Karriere als Schauspieler erfolgt nach langer Abwägung, denn er hätte Jet-Pilot, Architekt oder eben Schauspieler werden können. Die Spielfreude in ihm und die Freude daran, „die Leute zu unterhalten“, ziehen ihn letztlich auf die Bühne und vor die Kamera. Es folgen zahlreiche Auftritte deutschlandweit wie beispielsweise bei den Staatstheatern in Stuttgart und Bonn sowie auf der Bühne des Fritz Rémond Theaters in Frankfurt oder bei den Heppenheimer Festspielen. Zudem betreibt er seit 1993 ein Gastspieltheater mit eigenen Produktionen. Bekannt wurde er auch durch Engagements bei Fernsehproduktionen wie „Tatort“, „Der Alte“, „Ein Fall für Zwei“ oder „Derrick“. In diesen mehr als vier Jahrzehnten hat er Millionen Menschen mitgerissen, unterhalten und begeistert.

Schon als Kind verkleidete er sich lieber als Clown statt, wie bei Jungs üblich, als Cowboy: „Die Verletzungen, die einem das Leben mitgibt, heilt man mit Lachen“, sagt er. Ihm selbst ist wichtig, die Menschen auch mit traurigen Inhalten zu unterhalten.

2014 wurde Walter Renneisen für seine Verdienste um das Schauspiel und die Kultur mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens geehrt. Aus den Händen des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier erhielt er die Auszeichnung. Bouffier würdigte Renneisen „als einen der erfolgreichsten und beliebtesten Schauspieler unseres Landes. Was ihn auszeichnet, ist seine Authentizität“.

Walter Renneisen ist eine besondere Persönlichkeit und eine große Bereicherung für das kulturelle Leben der Region. Er setzt sich auch für die schauspielerische Nachwuchsarbeit: Seit vielen Jahren fördert der Grimme-Preisträger das Schülertheater des Alten Kurfürstlichen Gymnasiums und engagiert sich außerdem für die Schultheatertage. Das zeigt seine Verbundenheit mit seiner Bergsträßer Heimat.

Die Bretter, die die Welt bedeuten

VON MATTHIAS SCHAIDER. 

Die Bretter, die für Sie die Welt bedeuten, liegen nicht auf irgendeiner großen Bühne, sondern in einem Restaurant in Zwingenberg. Luisa Zipp ist dort als Restaurantfachfrau angestellt und am liebsten ist ihr es, wenn die Scheinwerfer nicht auf sie gerichtet sind, sondern auf ihre Gäste. Die 21-Jährige entspricht so gar nicht dem Klischee, das jungen Menschen heute gerne angeheftet wird, noch dazu, wenn sie gut aussehen wie die junge Frau aus Zwingenberg. Sie zieht es nicht auf die vermeintlich schillernden Bühnen dieser Welt, auf denen Dieter Bohlen oder Heidi Klum ihr Unwesen treiben.

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Luisa Zipp, Restaurantfachfrau, Zwingenberg

Das ist nicht die Welt von Luisa Zipp. Ihr Applaus ist das Lächeln des Gastes. Sie geht in ihrem Job auf, das merkt man der jungen Frau an und das merken vor allem die Gäste, die die aufmerksame und aufgeweckte Art von ihr zu schätzen wissen. Mit 18 unternahm sie die ersten Gehversuche in der Gastronomie. Aus einem Aushilfsjob wurde eine Ausbildungsstelle und aus dem Beruf eine Berufung. Für sie bedeutet der Job längst nicht „nur“ das Servieren von Essen und Getränken. Sie kümmert sich um die Logistik, sorgt dafür, dass die Bar immer ausreichend gefüllt ist. Für sie ist jeder Tag eine neue Herausforderung, auf jeden Gast stellt sie sich neu ein.

Bei besonderen Veranstaltungen schlüpft sie schon mal in die Rolle der Event-Managerin, kümmert sich um das „Drumherum“, schnürt den Gästen ein attraktives Gesamtpaket: Von der Deko angefangen über die Getränkeliste bis zur Auswahl der Speisen. Sie steht als Beraterin und Ideengeberin immer parat. Den Gästen jeden Wunsch von den Augen ablesen, eigenständiges und verantwortliches Handeln, Bodenständigkeit, das Setzen von realistischen Zielen und keine Träumereien: Das sind die Werte, die für Luisa im Vordergrund stehen. Das ist ihr wichtig und das ist ihr Leben, trotz der Einschränkungen, die mit dem Job verbunden sind. Familie und Freunde, die nicht aus der Gastronomie kommen, kriegen Luisa Zipp selten zu Gesicht, denn ihr ganzes Leben ist auf den Beruf ausgerichtet. Dafür hat sie sich einen Freundeskreis aufgebaut, der auch aus der Branche kommt. Das Verhältnis untereinander ist ein anderes: Intensiver, beschreibt es die junge Frau. Da man die ungewohnten Arbeitszeiten aus eigener Erfahrung kennt, weiß man um die wenige Zeit, die Jedem bleibt. Das mache die Begegnungen und die gemeinsame Zeit umso kostbarer.

Für die Zukunft will Luisa Zipp auf jeden Fall der Gastronomie treu bleiben und sich nach und nach weiterentwickeln. Vielleicht zur Sommelière oder auch als Ausbilderin für den Nachwuchs, den es in die Gastronomie zieht. Genau das ist ihr Ding und genau hier fühlt sie sich wohl und das will sie auch anderen jungen Menschen vermitteln.