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Die Vergangenheit der Zukunft

VON LAURA FREY. 

Eintauchen in eine andere Zeit. Nachdenken über die Zukunft und die Vergangenheit in der Gegenwart. Ein kleines Fachwerkhaus, unscheinbar, mit einem Türschild – Heimatmuseum Zwingenberg. Die Tür öffnet sich, ein kühler, modriger Geruch strömt heraus. Ein kleiner Mann mit großer, dunkler Hornbrille steht neben dem Eingang. Den Zylinder kurz anhebend begrüßt er die Gäste. Die Zeitreise beginnt: Eine Küferwerkstatt, in der Fässer hergestellt wurden. Ein altes Schulzimmer mit Schiefertafeln. Eine Postkartensammlung, die Bilder einer vergangenen Zeit zeigen.

Werner-Korschan

Werner Korschan, Zwingenberg

Werner Korschan war 30 Jahre lang Leiter des Museums in der Scheuergasse. Der gebürtige Darmstädter kennt zu jedem einzelnen Ausstellungsstück eine Geschichte. Auch die Zinnsoldaten neben der alten Militäruniformen hat er eigenhändig aufgestellt. Mit Büchern und Drucken aus seiner eigenen Sammlung hat er mehr als 65 Mal eine große Vitrine im Erdgeschoss bestückt. Die hat er natürlich auch selbst in das Museum gebracht. Bevor Korschan sich ganz dem Museum widmete, arbeitete er als Maschinenbuchhalter beim Darmstädter Echo und später bei der Hessischen Landesbank.

Das erste Fundstück in seiner Sammlung? Ausgewählte Fabeln von Jean de La Fontaine. Danach durchstöberte Korschan alle Antiquariate im Umland. Bot auf Auktionen, ärgerte sich wenn der Preis zu hoch gestiegen war. Sammelte alles was ihm in die Hände fiel und zusagte: Bücher, Holzschnitte und Kupferstiche, Chorblätter, Briefe, Tagebücher und Landkarten. Mittlerweile ist sein kleines Haus bis unters Dach gefüllt mit wertvollen Schätzen, die er über die Jahre zusammengetragen hat. Werke aus der Vergangenheit suchen, finden, sammeln. Sie für junge Menschen heute zugänglich machen. Das machte seine Arbeit im Museum aus.

Mittlerweile ist Werner Korschan 92-Jahre alt. Falten umsäumen seine Augen. Die Hände liegen ruhig neben ihm. Wenn er den Datterich zitiert, liegt ein schelmisches Lächeln auf seinen Lippen. Eigentlich wollte er das Stück einmal mit seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln zusammen aufführen. Da sie auf der ganzen Welt verteilt leben, sprach er kurzerhand alle Stimmen selbst ein.  Nur was mit seinem Lebenswerk passiert sorgt ihn. Ein Lieblingsstück in seiner Sammlung existiert nicht. Das Gesamtbild ist wichtig. Sammeln aus der Vergangenheit für die Zukunft, unsicher sein über das Jetzt.

Im Juni 2015 ist Werner Korschan im gesegneten Alter von 93 Jahren und einem erfüllten Leben gestorben.

Der Pionier nachhaltigen Wirtschaftens

VON MATTHIAS SCHAIDER.

Dr. Holger Zinke gehört an der Bergstraße sicherlich zu den Menschen, die das Potential dieser Region nicht nur erkannt haben, sondern es auch aktiv fördern. „An der Bergstraße ist vieles möglich, was woanders nicht umsetzbar ist“, sagt Holger Zinke. Die Erklärung, warum das so ist, liefert der preisgekrönte Mikro- und Molekularbiologe gleich mit: „Die Gegend ist reich an geerdeten Menschen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der BRAIN AG in Zwingenberg.

Holger Zinke

Dr. Holger Zinke, Vorstandsvorsitzender der Brain AG, Zwingenberg

Er selbst hat diese Erdung nie verloren: Geprägt von einem bodenständigen Elternhaus, war die Grundlage dafür gelegt, dass er nie abhebt. Angetrieben von der Neugier und der Lust, Dinge zu entdecken, setzte Zinke mit seinen Weggefährten Maßstäbe im Bereich der Molekularbiologe und Molekulargenetik. Der „Pionier nachhaltigen Wirtschaftens“ gilt als Entdecker des „Werkzeugkastens der Natur“. Holger Zinke ist es gelungen, Biologie und Schlüsselindustrien zusammenzubringen. High Tech und Biologie müssen sich nicht ausschließen – im Gegenteil: Heute machen über 100 Mitarbeiter die Brain AG zum Vorreiter der „Weißen Biotechnologie“.

Holger Zinke ist der Kopf der Brain AG, unter anderem erhielt er 2008 mit dem „Deutschen Umweltpreis“ den höchstdotierten Umweltpreis Europas und ein Jahr später das Verdienstkreuz am Bande. Seine Neugier- und Entdeckermentalität hat dafür gesorgt, dass die Arbeit der Brain AG weltweit Anerkennung und Beachtung findet. „Made in Zwingenberg“ heißt es dank zahlreicher Industriekooperationen und Partnerschaften bei international agierenden Unternehmern.

Wie Holger Zinke selbst sagt, pflasterten Zufälle seinen Weg, aber schon früh bestimmte eine zentrale Entscheidung die richtige Richtung: „Das war, als ich wusste, nicht Bauingenieur werden zu wollen, sondern Biologe zu studieren“, sagt Zinke. Das war während seines Wehrdienstes, als er 19 Jahre alt war. Schon früh stellte er seine Urteilskraft unter Beweis und genau diese Urteilskraft hält er für eine Schlüsselqualifikation, die Menschen den Weg weist. Der Mikro- und Molekularbiologe hat erfolgreich Zukunftspfade eingeschlagen und Meilensteine gesetzt. Niemals vergessen wird er die Begegnung mit dem damaligen Bundespräsidenten Professor Dr. Horst Köhler. Aber genauso schwärmt er von Begegnungen mit Mitarbeitern und Studenten, die mit ihren Ideen und ihrem Tatendrang die Erfolgsgeschichte der Brain AG mitschreiben.

Holger Zinke ist jemand, der mit Bedacht seine Worte wählt. Dieses behutsame Verhalten und der Blick über jeden Tellerrand hinaus machen seine Arbeit so wertvoll und anerkennenswert, denn nachhaltiges und trotzdem wirtschaftliches Handeln sucht man oft vergebens.

Deshalb ist sein Weg und der Weg der Brain AG noch lange nicht zu Ende: Von Zwingenberg aus wird auch in Zukunft die Zukunft einer ganzen Branche entscheidend geprägt.

In der Ruhe liegt die Kraft

VON MATTHIAS SCHAIDER.

Dieser Mann ruht in sich selbst und doch sprüht er vor Energie: Erich Stahl. Seine 82 Jahre merkt man dem Künstler nicht an, seine Unbekümmertheit und seine gute Laune wirken ansteckend. Der Leitspruch „In der Ruhe liegt die Kraft“ könnte für ihn erfunden worden sein. 14 Jahre lebte er in Heppenheim, seit 30 Jahren ist er in Zwingenberg zuhause.

Erich-Stahl

Erich-Stahl, Kupferstecher und Maler, Zwingenberg.

Seine Ausstrahlung und seine innere Impulsivität beeindrucken, man merkt: Dieser Mann hat längst seine innere Ruhe gefunden. Und so fällt im Gespräch immer wieder der Satz: Ich muss Niemandem mehr etwas beweisen. Und wer ihm genau zuhört, der stellt fest, dass Erich Stahl noch nie in seinem Leben Irgendjemandem etwas beweisen musste. Er zieht sein Ding durch. Vor allem, wenn es um die Berufsgruppe der Galeristen geht, zeigt sich, dass dieser Mann immer seine Kunst und seine Freiheit über allem anderen sieht: Profit will er daraus nicht schlagen, Botschaften vermitteln aber sehr wohl und etwas Bleibendes schaffen. Das ist ihm gelungen, zweifellos.

Manchmal schläft er in seinem Atelier. Oft fährt er nach zwei Stunden aus dem Schlaf. Dann hat er eine Idee, die er sofort auf einem Blatt Papier skizziert oder in ein Kunstwerk einarbeitet. An seinem größten Kupferstich, sage und schreibe hat dieser die Maße 50 auf 80 Zentimeter, hat er insgesamt sieben Jahre gearbeitet.

Geboren 1931 im saarländischen Mettlach, führt ihn sein Großvater schon in jungen Jahren in die Kunst ein. 1946 beginnt er eine Kupferstecherlehre. An der Schule für Kunst & Handwerk in Saarbrücken erweitert er seinen Horizont. Als Grafiker verdient Stahl den Lebensunterhalt für seine Familie. Seine Passion lebt er im Atelier aus, er ist ein Meister seines Fachs. Den Kunsthistoriker K. F. Ertel. nennt er seinen geistigen Vater, Förderer und schärfsten Kritiker. Sein großes Vorbild ist Albrecht Dürer. Stahl ist Maler, Kupferstecher, Grafiker und Objekt-Gestalter in einer Person. Er schafft Acrylbilder, Linolschnitte oder Kupferstiche. Auch Feder-, Buntstift- oder Kordelzeichnung beherrscht er perfekt. Stahls Arbeiten wurden in Paris, London und in verschiedenen Städten der USA gezeigt.

Erich Stahl schafft wahre Meisterwerke – handwerklich perfekt, kreativ und immer mit Hintergedanken. Kaum Jemand beherrscht die Kunst des Kupferstechens so wie er. Wer genauer nachfragt erfährt von ihm: „Technik muss man beherrschen, um sich in der Kunst, wenn man denn diese begriffen hat, äußern zu können.“ Erich Stahl sagt das aus einer inneren Überzeugung heraus und wir erinnern uns: Beweisen muss dieser Mann Niemandem etwas!

Die Bretter, die die Welt bedeuten

VON MATTHIAS SCHAIDER. 

Die Bretter, die für Sie die Welt bedeuten, liegen nicht auf irgendeiner großen Bühne, sondern in einem Restaurant in Zwingenberg. Luisa Zipp ist dort als Restaurantfachfrau angestellt und am liebsten ist ihr es, wenn die Scheinwerfer nicht auf sie gerichtet sind, sondern auf ihre Gäste. Die 21-Jährige entspricht so gar nicht dem Klischee, das jungen Menschen heute gerne angeheftet wird, noch dazu, wenn sie gut aussehen wie die junge Frau aus Zwingenberg. Sie zieht es nicht auf die vermeintlich schillernden Bühnen dieser Welt, auf denen Dieter Bohlen oder Heidi Klum ihr Unwesen treiben.

Luisa-Zipp

Luisa Zipp, Restaurantfachfrau, Zwingenberg

Das ist nicht die Welt von Luisa Zipp. Ihr Applaus ist das Lächeln des Gastes. Sie geht in ihrem Job auf, das merkt man der jungen Frau an und das merken vor allem die Gäste, die die aufmerksame und aufgeweckte Art von ihr zu schätzen wissen. Mit 18 unternahm sie die ersten Gehversuche in der Gastronomie. Aus einem Aushilfsjob wurde eine Ausbildungsstelle und aus dem Beruf eine Berufung. Für sie bedeutet der Job längst nicht „nur“ das Servieren von Essen und Getränken. Sie kümmert sich um die Logistik, sorgt dafür, dass die Bar immer ausreichend gefüllt ist. Für sie ist jeder Tag eine neue Herausforderung, auf jeden Gast stellt sie sich neu ein.

Bei besonderen Veranstaltungen schlüpft sie schon mal in die Rolle der Event-Managerin, kümmert sich um das „Drumherum“, schnürt den Gästen ein attraktives Gesamtpaket: Von der Deko angefangen über die Getränkeliste bis zur Auswahl der Speisen. Sie steht als Beraterin und Ideengeberin immer parat. Den Gästen jeden Wunsch von den Augen ablesen, eigenständiges und verantwortliches Handeln, Bodenständigkeit, das Setzen von realistischen Zielen und keine Träumereien: Das sind die Werte, die für Luisa im Vordergrund stehen. Das ist ihr wichtig und das ist ihr Leben, trotz der Einschränkungen, die mit dem Job verbunden sind. Familie und Freunde, die nicht aus der Gastronomie kommen, kriegen Luisa Zipp selten zu Gesicht, denn ihr ganzes Leben ist auf den Beruf ausgerichtet. Dafür hat sie sich einen Freundeskreis aufgebaut, der auch aus der Branche kommt. Das Verhältnis untereinander ist ein anderes: Intensiver, beschreibt es die junge Frau. Da man die ungewohnten Arbeitszeiten aus eigener Erfahrung kennt, weiß man um die wenige Zeit, die Jedem bleibt. Das mache die Begegnungen und die gemeinsame Zeit umso kostbarer.

Für die Zukunft will Luisa Zipp auf jeden Fall der Gastronomie treu bleiben und sich nach und nach weiterentwickeln. Vielleicht zur Sommelière oder auch als Ausbilderin für den Nachwuchs, den es in die Gastronomie zieht. Genau das ist ihr Ding und genau hier fühlt sie sich wohl und das will sie auch anderen jungen Menschen vermitteln.